Rückblick zum Vortrag mit Pfr. Bernhard Hesse

Gelungener Vortrag mit Pfr. Bernhard Hesse in Höngen
Mit ca. 80 Personen war das Jugendheim voll besetzt. An dieser Stelle veröffentlichen wir noch zwei Predigten zum Thema Anbetung, auf die Pfr. Hesse in seinem Vortrag besonders verwiesen hat: Einmal vom Papst Franziskus, und von Kurienkardinal Koch, beide am 06. Januar gehalten.

Im Wortlaut: Papstpredigt zum Hochfest Epiphanie 

Wir dokumentieren hier im Wortlaut die Predigt, die Papst Franziskus zum Hochfest Epiphanie am 06. Januar bei der Heiligen Messe im Petersdom gehalten hat. Die Kirche feiert das Offenbarwerden – die Epiphanie – des Retters Christus Jesus in der Anbetung der drei Weisen aus dem Morgenland, der Taufe Jesu und dem Wunder zu Kana.

Im Evangelium (Mt 2,1-12) erklären die Sterndeuter gleich zu Beginn ihre Absichten: »Wir haben seinen Stern aufgehen sehen und sind gekommen, um ihm zu huldigen« (V. 2). Die Anbetung ist der Zweck ihrer Reise, das Ziel ihres Weges. Denn in Betlehem angekommen, »sahen [sie] das Kind und Maria, seine Mutter; da fielen sie nieder und huldigten ihm« (V. 11). Wenn wir den Sinn der Anbetung verlieren, verlieren wir die Richtung des christlichen Lebens, das ein Weg auf den Herrn hin ist, nicht zu uns selbst. Vor dieser Gefahr warnt uns das Evangelium, wenn es uns neben den Sterndeutern einige Figuren vorstellt, die nicht anbeten können.

Da ist vor allem König Herodes, der das Wort „anbeten“ verwendet, aber in trügerischer Weise. Er bittet nämlich die Sterndeuter, ihm über den Aufenthaltsort des Kindes Auskunft zu geben, »damit« – so sagt er – »auch ich hingehe und ihm huldige« (V. 8). In Wirklichkeit aber betete Herodes nur sich selbst an und wollte sich deshalb mithilfe einer Lüge von dem Kind befreien. Was lehrt uns das? Dass der Mensch, wenn er nicht Gott anbetet, dazu neigt, sich selbst anzubeten. Und selbst das christliche Leben kann ohne die Anbetung des Herrn zu einer kultivierten Art der Selbstbestätigung und des Eigenlobes werden. Das ist eine ernste Gefahr: uns Gottes zu bedienen statt Gott zu dienen. Wie oft haben wir die Absichten des Evangeliums mit unseren eigenen Interessen vertauscht; wie oft haben wir unsere Bequemlichkeiten mit Religiosität bemäntelt; wie oft haben wir die Macht im Sinne Gottes – den Dienst am Nächsten – mit der Macht im Sinne der Welt – den Dienst an sich selbst – verwechselt!

Neben Herodes gibt es im Evangelium weitere Personen, die nicht anbeten können: die Hohepriester und Schriftgelehrten des Volkes. Sie zeigen Herodes ganz präzise auf, wo der Messias geboren werden sollte: in Betlehem in Judäa (vgl. V. 5). Sie kennen die Verheißungen und zitieren sie genau. Sie wissen, wo hinzugehen wäre, aber gehen nicht. Auch daraus können wir lernen. Im christlichen Leben genügt das Wissen nicht: ohne aus sich herauszugehen, ohne die Begegnung, ohne die Anbetung kann man Gott nicht erkennen. Theologie und pastorale Effizienz nützen wenig oder nichts, wenn man nicht die Knie beugt; wenn man es nicht wie die Sterndeuter macht, die nicht nur weise Organisatoren einer Reise waren, sondern sich auf den Weg gemacht und angebetet haben.

„Theologie und pastorale Effizienz nützen wenig oder nichts, wenn man nicht die Knie beugt“

Durch die Anbetung wird uns bewusst, dass der Glaube sich nicht bloß auf eine Fülle an schönen Glaubenslehren beschränkt, sondern die Beziehung zu einer lebendigen Person, die geliebt werden will, ist. Nur wenn wir Jesus von Angesicht zu Angesicht gegenüberstehen, lernen wir sein Antlitz kennen. Wenn wir anbeten, entdecken wir, dass das christliche Leben eine Liebesgeschichte mit Gott ist: Hier reichen einige gute Ideen nicht aus, sondern ihm muss man den ersten Platz einräumen, so wie es ein Verliebter gegenüber der Person macht, die er liebt. Genau so muss die Kirche sein, eine Anbeterin, die in ihren Bräutigam Jesus verliebt ist.

Zu Beginn des Jahres entdecken wir wieder neu, dass der Glaube die Anbetung erfordert. Wenn wir uns vor Jesus niederknien können, werden wir der Versuchung widerstehen, dass jeder auf seinem eigenen Weg weitergeht. Anbeten bedeutet nämlich, aus der größten Sklaverei, aus der Knechtschaft des eigenen Ichs auszuziehen. Anbeten heißt, den Herrn ins Zentrum zu stellen, um nicht auf sich selbst fixiert zu bleiben. Es bedeutet, die Dinge recht zu ordnen und dabei Gott den ersten Platz einzuräumen. Anbeten heißt, die Pläne Gottes vor meine Zeit, meine Rechte, meine Räume zu stellen. Es bedeutet die Umsetzung des Schriftworts: »Den Herrn, deinen Gott, sollst du anbeten« (Mt 4,10). Deinen Gott: anbeten heißt zu spüren, dass wir Gott gehören und umgekehrt. Es bedeutet, im Inneren zu ihm „Du“ zu sagen, das Leben zu ihm zu bringen und zuzulassen, dass er in unser Leben tritt. Es bedeutet, seinen Trost auf die Welt herabzurufen. Anbeten heißt zu entdecken, dass es beim Beten genügt, »Mein Herr und mein Gott!« (Joh 20,28) zu sagen, und ebenso sich von seiner zärtlichen Liebe erfüllen zu lassen.

„Anbeten bedeutet, Jesus ohne eine Wunschliste in der Hand zu begegnen“

Anbeten bedeutet, Jesus ohne eine Wunschliste in der Hand zu begegnen, sondern allein mit dem Wunsch, bei ihm zu bleiben. Es heißt zu entdecken, dass die Freude und der Friede mit dem Lobpreis und der Danksagung wachsen. Wenn wir anbeten, erlauben wir Jesus, uns zu heilen und zu verändern. Durch die Anbetung geben wir dem Herrn die Gelegenheit, uns mit seiner Liebe zu verwandeln, unser Dunkel zu erhellen, uns in der Schwachheit Kraft und in der Prüfung Mut zu verleihen. Anbeten heißt, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren: das ist der Weg, um von vielen unnützen Dingen loszukommen, von Abhängigkeiten, die das Herz betäuben und den Geist benommen machen. Denn durch die Anbetung lernen wir zurückzuweisen, was nicht angebetet werden darf: den Götzen des Geldes, des Konsums, des Vergnügens, des Erfolges, unser Ich, das an die Stelle Gottes getreten ist. Anbeten bedeutet, sich im Angesicht Gottes des Allerhöchsten klein zu machen, um vor ihm zu erkennen, dass die Größe des Lebens nicht im Haben, sondern im Lieben besteht. Anbeten heißt, wieder neu zu entdecken, dass wir vor dem Geheimnis der Liebe, die jede Distanz überwindet, Brüder und Schwestern sind: es bedeutet, das Gute an der Quelle zu schöpfen, und in Gott, der nahe ist, den Mut zu finden, sich den anderen Menschen zu nähern. Anbeten heißt, vor dem göttlichen Wort zu schweigen, um zu lernen, Worte zu sprechen, die nicht verletzen, sondern trösten.

„Anbetung ist eine Geste der Liebe, die das Leben verändert“

Anbetung ist eine Geste der Liebe, die das Leben verändert. Anbeten heißt, es wie die Sterndeuter zu machen: dem Herrn Gold zu bringen, um ihm zu sagen, dass nichts wertvoller ist als er; ihm Weihrauch zu opfern, um ihm zu sagen, dass nur mit ihm unser Leben aufsteigt; ihm Myrrhe darzubringen, mit der verwundete und geschundene Körper gesalbt wurden, um Jesus zu versprechen, unserem ausgegrenzten und leidenden Nächsten beizustehen, weil er in ihm gegenwärtig ist.

Liebe Brüder und Schwestern, heute mag sich jeder von uns fragen: „Bin ich ein Christ, der anbetet?“ Viele Christen, die beten, wissen nicht, wie man anbetet. Stellen wir uns diese Frage. Finden wir in unserem Tagesablauf Zeit für die Anbetung und geben wir der Anbetung in unseren Gemeinden Raum. Es liegt an uns als Kirche, das Wort in die Praxis umzusetzen, das wir heute als Kehrvers zum Antwortpsalm gebetet haben: „Herr, alle Völker der Erde beten dich an.“ Durch die Anbetung werden auch wir wie die Sterndeuter den Sinn unseres Lebensweges entdecken. Und wie die Sterndeuter werden wir dann »von sehr großer Freude erfüllt« (Mt 2,10).

(vatican News)

 

 

WEIHNACHTLICHE ANBETUNG DES HEILIGEN[1]

Kurt Cardinal Koch

„Verweile doch, o Augenblick, du bist so schön.“ Diese Worte pflegen Menschen zu sprechen, wenn sie bei Liebesbeziehungen mitten im Strudel der Zeit Oasen der Ewigkeit erleben dürfen und deshalb wünschen, dass die Zeit stehen bleibt. Indem sie sich gegenseitig in die Augen blicken, möchten sie den Augen-Blick – im tiefen Doppelsinn dieses Wortes – gerne festhalten. Einen solchen Augen-Blick haben gewiss auch die Sterndeuter aus dem Osten erfahren, als sie das verheissene Kind in der Krippe in Betlehem gefunden haben. Von ihnen heisst es im Evangelium ganz einfach und doch bedeutungsvoll: „Da fielen sie nieder und huldigten ihm.“ Dass die Sterndeuter in die Knie gehen und anbeten, kann nur einen Grund haben: Sie haben erkannt, dass sie im Kind in der Krippe dem Heiligen selbst begegnet sind. Denn vor dem Heiligen ist nur die Anbetung die geziemende Haltung.

Grundhaltung der Anbetung

Dass der christliche Glaube seine Herzmitte in der Anbetung Gottes hat, ist die Botschaft des heutigen Hochfestes der Erscheinung des Herrn, das in der griechischen Sprache „Epiphania“ heisst, Erscheinung des Lichtes Gottes in der Welt der Menschen. Erscheinung des Lichtes Gottes haben die ersten Christen zuerst und vor allem in der Auferstehung Jesu Christi aus dem Tod in das ewige Leben Gottes hinein wahrgenommen. Die Osterfeier war deshalb das Zentralfest der christlichen Kirche. Ein Weihnachtsfest gab es demgegenüber in den Anfängen nicht, wie sehr uns dies auch erstaunen mag. Je mehr man freilich ausgehend vom Glauben an den gekreuzigten, auferstandenen und erhöhten Herrn über das Geheimnis der Person Jesu Christi nachdachte, desto mehr musste auch die Menschwerdung des auferstandenen Herrn in den Vordergrund der gläubigen Betrachtung rücken. Dieses Geheimnis des Eintretens Jesu Christi in die Welt wurde deshalb unter dem Vorzeichen der Epiphanie des Heiligen in unserer Welt gefeiert.

Dass im Kind in der Krippe das Heilige selbst gegenwärtig ist, dies bringt der Evangelist Matthäus auf eindrückliche Weise dadurch zum Ausdruck, dass die Sterndeuter aus dem Osten vor dem Kind in der Krippe niederfallen und ihm huldigen, vor ihm in die Knie gehen und es anbeten. Dieselbe Bewegung der Anbetung werden am Ende desselben Evangeliums die Jünger vollziehen, wenn sie vor dem Auferstandenen niederfallen und ihn anbeten. Das Matthäusevangelium beginnt mit Anbetung und endet mit Anbetung. Wie die ganze Weihnachtsgeschichte des Matthäus auf die Anbetung des Kindes in der Krippe durch die Sterndeuter hinausläuft, so zielt das ganze Matthäusevangelium schliesslich auf die Anbetung des Auferstandenen durch die Jünger.

Darin leuchtet bereits das Geheimnis der Kirche auf. Was könnte denn die Kirche im Tiefsten anderes sein als die Gemeinschaft derjenigen Menschen, die das Kommen Gottes in unsere Welt glauben und ihn anbeten, die in ihm das Licht ihres Lebens finden und die in der Taufe das Geschenk der göttlichen Erleuchtung empfangen haben? Anbetung ist deshalb der Ernstfall des Glaubens und das Lebenselixier des kirchlichen Lebens und überhaupt die Grundhaltung des Menschen vor Gott. Dass Anbetung nicht nur notwendig, sondern geradezu lebenswichtig ist, dies hat ein grosser Glaubenszeuge unserer Kirche, nämlich Pater Alfred Delp, der am 2. Februar 1945 von den Nationalsozialisten ermordet worden ist, mit den Worten ausgedrückt: „Brot ist wichtig, die Freiheit ist wichtiger, am wichtigsten aber ist die ungebrochene Treue und die unverratene Anbetung.“

Wenn Anbetung das Wichtigste ist, dann muss es zu denken geben, dass dieses Wort in der heutigen Zeit – und teilweise sogar in der Kirche – zu einem arg unmodernen Wort, wenn nicht gar zu einem Fremdwort geworden ist. Auf das erste Zusehen hin ist dies sogar verständlich. Denn Anbetung bedeutet, dass wir Menschen vor Gott in die Knie gehen, und zwar im buchstäblichen Sinn. In die Knie zu gehen, dies empfindet der heutige Mensch aber weithin als Entwürdigung oder gar als Demütigung, gleichsam als Sabotage seines eigenen Ich. Der heutige Mensch hat vielmehr gelernt, den aufrechten Gang zu lieben, und er hat Angst, sein Rückgrat zu verlieren. Und dies durchaus mit Recht; denn in der Welt muss man „den Mann“ und „die Frau“ stellen, in der Welt darf man in der Tat vor niemandem in die Knie gehen, und in der Welt ist nichts und niemand anzubeten.

Ehrfurcht vor dem Heiligen

Die Anbetung Gottes aber schenkt die umgekehrte heilsame Erfahrung: Nur wer ein starkes Rückgrat hat, kann sich tief bücken, weil er dankbar erspürt, dass er seinen aufrechten Gang Dem verdankt, vor dem er in die Knie geht und Den er anbetet. Den aufrechten Gang in der Welt lernt der glaubende Mensch nur im Kniefall vor Gott. Denn er weiss, dass, wenn wir die Grösse Gottes bestaunen, der Mensch nicht klein, sondern ebenfalls gross gemacht wird. Die Anbetung Gottes führt den Menschen deshalb zu seiner wahren Grösse, wie Papst Johannes XXIII. zu sagen pflegte: „Der Mensch ist nie so gross, wie wenn er kniet.“

Es ist erfreulich, dass diese Überzeugung von modernen Denkern, von denen wir es zunächst nicht erwarten würden, geteilt wird. Angesichts der uns Menschen heute besonders in Wissenschaft und Technik zugewachsenen Möglichkeiten und dementsprechend auch der Verantwortung schreibt der aus dem Judentum stammende Philosoph Hans Jonas: „Es ist die Frage, ob wir ohne die Wiederherstellung der Kategorie des Heiligen, die … zerstört wurde, eine Ethik haben können, die die extremen Kräfte zügeln kann, die wir heute besitzen und dauernd hinzuzuerwerben und auszuüben beinahe gezwungen sind.“[2] Der Philosoph erblickt also das grösste Problem der heutigen Zeit in der Zerstörung des Heiligen. Denn wenn es zu den Zeichen der Zeit gehört, dass der Mensch meint, aus eigener Kraft leben, alles selbst gestalten und sogar den Menschen selbst herstellen zu können, dann wird der Mensch selbst zum Produkt. Der Mensch ist dann nicht mehr ein Geschenk der Natur oder des Schöpfergottes, sondern sein eigenes Produkt, bei dem das Heilige keinen Ort mehr hat. Demgegenüber muss es zu denken geben, dass Hans Jonas neue Ehrfurcht vor dem Heiligen und damit Unverfügbaren und Unverletzlichen einklagt und von ihr eine Kurskorrektur in der heutigen Gesellschaft erwartet.

Zumal in der heutigen Zeit, in der das Heilige immer mehr verloren zu gehen droht, brauchen wir neue Ehrfurcht, die dem Heiligen Raum gibt, wie sie in der Anbetung Gottes freigesetzt wird. In ihr öffnet sich der Raum des Heiligen, um das Heilige in das alltägliche Leben hinein strömen zu lassen. Weil der anbetende Mensch das Heilige in der Anbetung lebendig hält, kann er es auch im alltäglichen Leben wieder verlebendigen. Insofern führt die Anbetung Gottes zu einer neuen Achtsamkeit dem Leben und der Schöpfung gegenüber. Solche Ehrfurcht einzuüben ist die besondere Sendung der Kirche, wenn sie sie vom heutigen Hochfest her versteht. Es gibt mir jedenfalls zu denken, dass ausgerechnet Eugen Ionesco, der Begründer des absurden Theaters und zugleich ein leidenschaftlich suchender Zeitgenosse, unserer heutigen Kirche nichts weniger vorgeworfen hat als die Versuchung zur Verweltlichung und Anbiederung an die Welt, die ihre irdische Wanderschaft verdrängt und die Ionesco als jammervoll, mittelmässig, geistlos und dumm bezeichnete. Demgegenüber betonte er in der Leidenschaft eines sinndurstigen Menschen: „Wir brauchen das Ausserzeitliche, denn was ist Religion ohne das Heilige? Es bleibt uns Nichts, nichts Solides, alles ist in Bewegung. Wir indessen brauchen einen Felsen.“ [3]

Anbetung als Ernstfall des Christusglaubens

Ja, wir brauchen einen Felsen, den wir nur im Glauben an Jesus Christus finden können. Auch dies zeigen uns die Sterndeuter aus dem Osten. Denn sie sind in Bethlehem nur deshalb in die Knie gegangen, weil sie im Kind in der Krippe Gott selbst begegnet sind. Damit wird ein noch tieferer Grund dafür sichtbar, dass die Anbetung dem Menschen und selbst dem Christen heute manchmal schwer fällt: Viele Menschen und Christen lassen sich auch heute durchaus berühren von allen menschlichen Dimensionen an Jesus von Nazareth; ihnen bereitet aber das Glaubensbekenntnis, dieser Jesus sei der eingeborene Sohn Gottes, und insofern der kirchliche Christusglaube Mühe. Selbst in der Kirche will es heute oft nicht mehr gelingen, im Menschen Jesus das Antlitz des Sohnes Gottes selbst wahrzunehmen und in ihm nicht einfach einen – wenn auch hervorragenden und besonders guten – Menschen zu sehen. Wir müssen in der heutigen Christenheit einen grossen und beunruhigenden Bedeutungsverlust des christlichen Glaubens an Jesus als den Christus feststellen, in dem Gott selbst Mensch geworden ist.

Mit diesem Glaubensbekenntnis aber steht und fällt der christliche Glaube. Denn wenn Jesus, wie heute viele annehmen, nur ein Mensch gewesen wäre, dann muss seine Anbetung verstummen. Wenn Jesus nur ein Mensch gewesen wäre, dann wäre er vor allem unwiderruflich in die Vergangenheit zurückgetreten; und nur unser fernes Erinnern könnte ihn dann mehr oder weniger deutlich in unsere Gegenwart bringen. So aber könnte Jesus nicht jenes Licht sein, das in die Lebensnacht von uns Menschen kommt und uns aufsucht und heimsucht, um nicht nur die Nacht mit uns Menschen zu teilen, sondern in diese Nacht hinein sein Licht zu bringen, das die Nacht zu beenden vermag.

Nur wenn unser Glaube wahr ist, dass Gott selbst Mensch geworden und Jesus Christus wahrer Mensch und wahrer Gott ist und so Anteil hat an der Gegenwart Gottes, die alle Zeiten umgreift, kann Jesus Christus nicht bloss gestern, sondern auch heute unser wirklicher Zeitgenosse und das Licht unseres Lebens sein, wie dies Angelus Silesius gedichtet hat: „Wär Jesus tausendmal in Bethlehem geboren und nicht in dir, du wärst noch ewiglich verloren.“ Verloren sind wir nur deshalb nicht, weil dieser Jesus nicht nur ein Mensch vor zweitausend Jahren gewesen ist, sondern als der Sohn Gottes auch heute lebt. Nur wenn Jesus der Christus, der Sohn des lebendigen Gottes ist, können wir nicht nur mit Freude bekennen, dass in ihm jenes Licht schlechthin aufgestrahlt ist, das auch unsere menschliche Nacht erhellt, sondern haben wir auch allen Grund, ihn anzubeten und seine Gegenwart in der Eucharistie zu feiern.

Anbetung Christi in der Eucharistie

Zumal bei der eucharistischen Anbetung dürften die Worte von liebenden Menschen in unseren Herzen hochsteigen: „Verweile doch, o Augenblick, du bist so schön.“ In der eucharistischen Anbetung erleben wir sogar den Augen-Blick schlechthin, nämlich den Blick Jesu Christi, der uns ansieht und uns sein Ansehen schenkt, ja, der uns ein solches Ansehen schenkt, dass wir im Herzen froh werden können. Dass die eucharistische Anbetung deshalb für uns Menschen eine Wohltat ist, dies hat die Heilige Edith Stein, die als Jüdin geboren zum christlichen Glauben konvertierte und in den Karmel eintrat und von den Nationalsozialisten hingerichtet wurde, mit diesen tiefen Worten bekannt: „Der Herr ist im Tabernakel gegenwärtig mit Gottheit und Menschheit. Er ist da, nicht Seinetwegen, sondern unsertwegen: weil es Seine Freude ist, bei den Menschen zu sein. Und weil Er weiss, dass wir, wie wir nun einmal sind, Seine persönliche Nähe brauchen. Die Konsequenz ist für jeden natürlich Denkenden und Fühlenden, dass er sich hingezogen fühlt und dort ist, sooft und solange er darf.“[4]

Wie damals die Sterndeuter in Bethlehem das Kind in der Krippe anbeteten, so begegnen wir ihm heute vor allem im neuen „Bethlehem“, das genau übersetzt „Haus des Brotes“ heisst, nämlich in der Eucharistie, wenn er sich selbst im Geheimnis des verwandelten Brotes in unsere Hände und vor allem in unsere Herzen legt. In ihr schenkt Christus uns seine Gegenwart, in der er sich aber zugleich in den unscheinbaren Zeichen von Brot und Wein verbirgt, so dass die Augen des Glaubens ihn immer wieder neu entdecken müssen.

Die Anbetung ist in der Tat der Ernstfall des Glaubens. Die Anbetung ist aber auch der eigentliche Grund der Sendung der Kirche in der heutigen Welt, die in einem überzeugenden christlichen Leben besteht. Denn das entscheidende Medium der Ausstrahlung Gottes in der Welt sind wir selbst, Christen und Christinnen, die ihren Glauben glaubwürdig leben und so dem Evangelium ein persönliches Gesicht geben. Wenn wir im Kind in der Krippe das Licht der Welt finden und den lebendigen Gott anbeten, werden wir von selbst ausstrahlen, Christen und Christinnen mit Ausstrahlung sein.

Wie die Sterndeuter aus dem Osten nach der Anbetung des Kindes in der Krippe nicht mehr zu Herodes zurückgekehrt, sondern auf einem anderen Weg nach Hause gegangen sind, so lassen wir uns heute in der eucharistischen Anbetung unser Herz verwandeln, um selbst neue Wege geführt zu werden und die Gegenwart Gottes zu den Menschen zu tragen. Der anbetende Mensch, der dem Heiligen begegnet, bringt das Heilige in die Welt zurück, um eine der schmerzenden Wunden unserer Zeit – den Verlust oder gar die Zerstörung des Heiligen – zu heilen. Dann ist Epiphanie nicht nur und nicht einfach ein Hochfest an einem Tag im Kirchenjahr, sondern dann kann sich Epiphanie an jedem Tag im begonnenen Jahr ereignen. Amen.

Erste Lesung:   Jes 60, 1-6

Zweite Lesung: Eph 3, 2-3a. 5-6

Evangelium:     Mt 2, 1-12

Comp: MEHR-Konferenz2020

[1] Homilie am Hochfest der Erscheinung des Herrn an der MEHR-Konferenz in Augsburg am 6. Januar 2020.

[2] H. Jonas, Das Prinzip Verantwortung. Versuch einer Ethik für die technologische Zivilisation (Frankfurt a. M. 1979) 393.

[3] E. Ionesco, Gegengifte (München-Wien 1979) 158-159.

[4] Gesammelte Werke VII, 136-137.