Neues und Altes verbinden – Kommentar von Pastor Roland Bohnen

Neues und Altes verbinden

Was du ererbt von deinen Vätern, erwirb es, um es zu besitzen!

So lautet ein altes Sprichwort. Das Erbe muss immer neu angeeignet werden. Kardinal Ratzinger schrieb einmal, bevor er Papst wurde, in einem Buch: Die Erneuerung steht im Dienst der Tradition, weil ohne die Erneuerung die Tradition verloren ginge. So ist es unsere Aufgabe als Kirche immer, Altes mit Neuem zu verbinden, damit unsere Traditionen lebendig bleiben und auch unsere Kinder und Enkel noch im christlichen Glauben erzogen werden können.

Corona hat uns geholfen, neue Wege zu beschreiten. Der Lockdown zwang uns, unsere Gottesdienste online auszustrahlen, wodurch der Selfkant in ganz Deutschland bekannt geworden ist. Seitdem sind immer mehr Menschen zu unseren Gottesdiensten gekommen.

Aber auch im Selfkant wissen immer mehr Menschen dieses Angebot zu schätzen, insbesondere seitdem die Messen nicht nur im Internet, sondern dreimal wöchentlich auch bei Radio Horeb und EWTN gesendet werden.

 

Inzwischen haben wir einen zweiten Schritt begonnen: Wir laden die Menschen, die auf der Suche nach einer Festigung im Glauben sind, zu neuen Gruppen ein, in denen das Leben und Lernen des christlichen Glaubens im Mittelpunkt steht. Auftakt dieser Gruppenbildung ist der viermal im Jahr stattfindende Tag der Begegnung. Die Resonanz dazu war unerwartet groß: Beim ersten Treffen waren es ca. 30 Personen, beim zweiten ca. 50. Die ersten zwölf Personen aus diesem Kreis treffen sich inzwischen wöchentlich in einer sogenannten Jüngerschaftsgruppe. Und wir dürfen jetzt alle drei Monate wieder einen neuen Schwung von Mitgliedern erwarten. Diese Menschen sollen in den Gruppen befähigt werden, das Leben in der Kirche verantwortlich mitzugestalten, damit wir auch in der zukünftigen Generation Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben, die sich für die Kirche engagieren.

 

Die Formen, in denen Kirche zukünftig gelebt wird, können anders aussehen als die heutigen, aber der Glaube wird lebendig bleiben, wenn wir jetzt diese neuen Wege gehen. Darüber hinaus gibt es vieles Lebendige in den traditionellen kirchlichen Formen. Was aber für die Zukunft immer wichtiger sein wird: Alles, was wir als Kirche machen, darf nicht von den wenigen Priestern oder pastoralen Mitarbeitern abhängen.

Die Priester werden sich auf die Spendung der Sakramente konzentrieren müssen. Die Gläubigen werden sich an zentralen Orten zur regelmäßigen Eucharistiefeier am Sonntag versammeln. Aber ebenso werden in den kleinen Orten Gottesdienste gefeiert, um den Menschen nah zu sein. Ich bin sicher, dass der Gedanke, dass Eucharistie und Wortgottesdienst einander Konkurrenz wären, überwunden wird. Wer als Katholik den Wert der Messe erkennt, der wird immer die Messe suchen, auch wenn sie nicht in seinem Heimatort gefeiert werden kann. Ebenso sehe ich schon jetzt eine Zunahme derer, die den Wert des Buß-Sakramentes neu entdecken. Bei mir vergeht keine Woche, wo ich nicht mehrere Beichten oder seelsorgliche Gespräche hätte, und die Tendenz ist steigend.

 

Während die Priester sich auf die Sakramente konzentrieren, werden die pastoralen Mitarbeiter sich stark darauf konzentrieren, die Ehrenamtlichen zu befähigen und auszubilden, und damit das kirchliche Leben vor Ort, also in den Gemeinden und den sogenannten „Orten von Kirche“  zu stärken und zu beleben.

 

Manche verstehen nicht, warum so viele neue Angebote in Süsterseel gemacht werden. Ich möchte gerne auf diese Frage antworten: Wir brauchen einen Ort, an dem all diese neuen Wege erprobt werden können. Das kann ich als leitender Priester nicht an mehreren Orten gleichzeitig machen. Und die Menschen, die diese neuen Angebote wahrnehmen, brauchen auch einen festen Ort, wo sie eine neue Gemeinschaft aufbauen können. Ich würde zu gern in allen Orten gleichzeitig diese Projekte aufbauen, aber es geht nicht.

 

Die grundsätzliche Frage ist: Wollen wir für den Selfkant neue pastorale Wege oder wollen wir sie nicht? Wollen wir, dass die Kirche bei uns eine Zukunft hat? Dann müssen diese neuen Wege einen Ort haben, von dem sie auf den ganzen Selfkant und darüber hinaus ausstrahlen und allen Pfarren dienen können.

Früher hatte auch noch jeder Ort seinen Bürgermeister, heute ist die Verwaltung in Tüddern.

Das Rathaus im Selfkant ist an einem Ort, aber es ist für alle da.

 

Ich verstehe, dass sich längst nicht jeder zur Mitarbeit bei neuen pastoralen Wegen berufen fühlt. Aber ich bitte darum, dass alle diese neuen Wege unterstützen, damit auch in der nächsten Generation der Glaube im Selfkant lebendig bleibt. Wenn jeder seinen Platz dort einnimmt, wo er von Gott hingestellt ist, dann wird alles gut zusammenwirken. Es gibt so viel christliches Leben im Selfkant, das wir gar nicht alles überschauen können. Die Aktivitäten in Süsterseel sind auch längst nicht alles, was an neuen Wegen in den letzten Jahren gewachsen ist. Denken wir z.B. an die Meditationspfade, an die Missionskreise, an die Asylhilfe, an die positiven Entwicklungen in unseren Kindergärten, im Bereich der Erstkommunion- und Firmkatechese, oder an die Trauerpastoral – und das sind nur Beispiele! Überall machen wir positive Erfahrungen und erleben, dass es uns auch heute noch gelingt, den Menschen den Glauben näherzubringen.

 

So wirkt alles zusammen, auch unsere ganz alten Traditionen, unser ganzes kirchliches Leben. Keiner ist wichtiger als der andere. Die neuen pastoralen Wege könnte es ohne die Tradition nicht geben. Aber ohne die Erneuerung hätte die Tradition auch keine Zukunftschance. Also sind wir alle aufeinander angewiesen. Und ich wünsche mir, dass all unsere Formen des kirchlichen Lebens zusammenwirken zu dem einen Ziel, dass auch in der nächsten Generation unsere Kinder noch im christlichen Glauben erzogen werden.