Klaus Hemmerle: Die Begegnung mit dem Schmerz – Impuls zum Evangelium Lk 9,18ff

Die Begegnung mit dem Schmerz

Klaus Hemmerle (1929-1994), Bischof von Aachen, schlägt vier „Schritte“ vor, wie man in jedem Schmerz das Angesicht Jesu in seiner Verlassenheit erkennen und annehmen kann.

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Jesus am Kreuz

Erster Schritt : Ich bereite mich vor

Morgens, sobald ich wach bin, bereite ich mich vor auf die Begegnung mit Ihm: « Weil du verlassen bist Jesus … » Und: « Ich will auf dich warten! » Ich weiß nicht, was dieser Tag mir bringen wird… Aber ich weiß, dass Jesus der Verlassene mir ganz unerwartet begegnen wird. In den Schwierigkeiten, in den Illusionen, vielleicht in meinen Fehlern, in den schmerzlichen oder unangenehmen Nachrichten, die ich erhalten werde. Und ich heiße Ihn willkommen: Er kann wirklich kommen, denn ich warte auf Ihn.

Zweiter Schritt: Ich erkenne ihn

Während des Tages: Fast immer anders, als ich es mir erwartet hätte, entdecke ich das Negative um mich herum oder in mir. In diesen Augenblick ist es wichtig, Ihn zu erkennen, ohne zu zögern. In Ihm gibt es keinen Mangel oder Fehler, der nicht in Seiner Verlassenheit enthalten ist; so wird jeder Schmerz zu Seinem „Sakrament“, dem Sakrament von Jesus dem Verlassenen. Wichtig ist dabei, dass ich im Innern das Merkmal jedes Schmerzes, das « Gesicht » des Gekreuzigten und Verlassenen wiedererkenne, Ihn sofort liebe und anbete.

Dritter Schritt: Ich nenne ihn beim Namen

Indem ich Ihm begegne, registriere ich nicht etwas Vorübergehendes oder Oberflächliches, sondern ich beobachte Ihn und ich grüße Ihn. Ich nenne Ihn bei seinem Namen. Die Tatsache, jedes Gesicht des Verlassenen bei seinem Namen zu nennen, ist eine kostbare Übung und viel mehr als eine einfache, oberflächliche Haltung. Der Schmerz ist nicht mehr „eine Sache“, der ich begegne, sondern ein „Du“! Dann wird jede meiner Handlungen zu einer Betrachtung.

Vierter Schritt: Ich feiere ein Fest für ihn

Jesus dem Verlassenen ein Fest bereiten. Ich nehme Ihn nicht nur ohne zu zögern auf, so als wäre es eben ein unvermeidlicher Vorfall … oder so, als wenn ich jemanden aufnehme, der ungelegen kommt, auch wenn es sich um einen Freund handelt. Ich wünsche mir hingegen, dass Er auch nicht einen einzigen Augenblick im Wartesaal meines Herzens, meiner Seele sitzen bleiben muss … Sondern ich will Ihn sofort in meinem Innern aufnehmen und zwar mit Liebe und froher Bereitschaft! Das ist der Schritt: durch den Schmerz zur Liebe, durch die Verlassenheit zur Auferstehung (Ostern). Nur derjenige, der auf diese Weise den Verlassenen liebt, wird der Welt die Freude schenken. Das Fest, das wir dem Verlassenen bereiten, ist ein Festtag, der keine Abenddämmerung kennt, weil seine Sonne, die Liebe, nie untergeht!